„Ein Odenwaldkrimi“ – True Crime Story

Viele Besucher wollten am Sonntagnachmittag im Feuerwehrhaus hören, was Horst Eilbacher (links) über den Überfall am 8.2.1947 herausgefunden hatte. Unterstützt wurde er beim Vortrag von Robert May und Dorothee Schlowak.

Zahlreiche Besucher erlebten am Sonntagnachmittag im Feuerwehrhaus Laudenbach eine Lehrstunde in Sachen Faszination ernsthaft betriebener Heimatgeschichtsforschung. Horst Eilbacher, der engagierte Vorsitzende des sehr aktiven örtlichen Heimat- und Geschichtsvereins, nahm die Zuhörer mit auf eine spannende Reise auf den Spuren eines Überfalls vor 75 Jahren, am 8.Februar 1947, beim Weiler Wiesenthal. Es war ein „Odenwaldkrimi“ als „True Crime Story“ voller Dramatik, die Eilbacher seit zwei Jahrzehnten nicht mehr loslässt.

Kurz nach 2000 stieß er in einer Facharbeit von Christoph Halbig über „Besatzungspolitik und demokratischen Neuanfang in den ersten beiden Nachkriegsjahren“ auf die spannende Geschichte, die 1967 Kilian Seubert als Redakteur des „Boten vom Untermain“ im Lokalteil ausgegraben hatte. Wiesenthal, Ortsteil des Marktes Weilbach, hatte damals noch 27 Einwohner in drei Wohngebäuden. Warum sich drei polnische Männer, die damals als DPs, also als „Displaced Persons“ im DP-Lager in den ehemaligen Kasernen in Aschaffenburg untergebracht waren, genau diesen abgelegenen Ort für ihren Überfall auf das Gasthaus ausgesucht hatten, ist bis heute nicht klar. Die meisten anderen Geheimnisse und Unklarheiten aber konnte Horst Eilbacher mit seinen aufwändigen Recherchen lüften.

Warum er nie aufgab, trotz vieler Rückschläge und Enttäuschungen bei den Nachforschungen und wie viel Unterstützung er bei seinen Recherchen erhielt verriet Eilbacher am Sonntag – für alle, die sich auf die Suche nach ihrer Heimatgeschichte machen wollen, Ansporn und „Warnung“ zugleich: „Nachforschungen zur Zeitgeschichte schaffen oftmals auch persönliche Betroffenheit, berühren mit ganz unterschiedlicher Intensität Familien und Einzelpersonen, reißen da und dort alte Wunden wieder auf, bringen andererseits ungeahnte Erkenntnisse und klären Zusammenhänge.“ Warum Eilbacher die Lektüre des Seuffert-Artikel so faszinierte, lässt schon dessen Überschrift ahnen: „Im Dienst erschossen“. Die Unterzeilen lauteten: „Oberwachtmeister Schmedding wurde erschossen. Bei der Verfolgung der Täter töteten Polizisten aus Versehen noch einen ihrer Kameraden.“

Das war die Kurzfassung des Vorgangs, und nun machte sich Eilbacher daran, Fragen zu klären, die ihm
wichtig waren und auf die es in diesem Artikel, aber auch in weiteren Quellen keine Klarheit gab. Was weiß man über die drei Polen, die den Überfall verübten, was über den von ihnen erschossenen Theodor Schmedding, den 34jährigen Postenchef der Polizei in Weilbach, und was über den 26jährigen Polizeihauptwachtmeister Georg Brosel, der bei der chaotisch verlaufenen Verfolgung der Täter von den eigenen Leuten erschossen wurde? Schnell wurde klar, dass nach den Flüchtigen mit großem Aufgebot gefahndet wurde. Nach vielen Rückschlägen bei den Recherchen stand am Ende die Erkenntnis, dass der Überfall auf das Gasthaus im Jahr 1947 kein Einzelfall war, sondern ein Indiz für das Durcheinander und die Unsicherheit in den ersten Nachkriegsjahren: Eilbacher konnte nach langen Recherchen aus einer Quelle folgende Zwischenbilanz zitieren: „Verhaftung von etwa fünfzehn Deutschen und Ausländern, die im dringenden Verdacht standen, an Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Die Polen Leon Droskin, Josef Fielyciec und Emil Strutynsky, die den Überfall verübt hatten, wurden des Mordes an dem Polizei-Oberwachtmeister Schmedding überführt. Außerdem konnten ihnen sieben schwere Einbrüche in Aschaffenburg, Schweinheim, Mainaschaff, Mömlingen und Gemünden nachgewiesen werden, während ihnen noch weitere Diebstähle zur Last liegen.“

Viele spannende Erkenntnisse konnte man am Sonntagnachmittag in Laudenbach gewinnen, viel erfuhr man über die Opfer, die Täter, aber auch viel über die Lage der Bevölkerung in der Nachkriegszeit am Untermain. Das Resümee Eilbachers nach seinen Recherchen: „Ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1967 machte mich, weil er viele Fragen offen ließ, neugierig. Die Sache, die uns hier heute beschäftigt hat, liegt 75 Jahre zurück. Aus Berlin schrieb mir Dr. Heinz Kumpf, der mich mir seinen Funden in Archiven und im Internet stark unterstützt hat: ‚Es ist erstaunlich, was sich nach über 70 Jahren noch an Informationen finden lässt.‘“ Eilbachers Fazit: „Ich habe auch die Erkenntnis gewonnen, dass man nicht aufgeben darf – niemals aufhören darf zu fragen. Vieles wäre nicht zu Tage gefördert worden, hätte ich nicht so eifrige, hartnäckige Helfer gehabt.“ Dass letztlich aber Fragen offen bleiben, auch damit musste er und müssen wohl alle leben, die sich auf die Suche nach der historischen Wahrheit machen. Konkret heißt das in Sachen Überfall auf das Gasthaus im Jahr 1947: „Irgendetwas, was man gerne noch wüsste, bleibt im Verborgenen. Wo und wie lange waren die drei Täter im Gefängnis? Was ist danach aus ihnen geworden? Wie ist das Leben für Frau Schmedding mit ihren drei Kindern nach dem Tod ihres Mannes weitergegangen? Das Gleiche gilt für die Hinterbliebenen von Herrn Brosel.“

Noch eines konnte man beim Vortrag in Laudenbach lernen: Es genügt nicht, sorgfältig zu recherchieren,
man muss die Ergebnisse auch attraktiv und unterhaltsam präsentieren: Das gelang auch, weil Eilbacher im Feuerwehrhaus durch Dorothee Schlowak, die die Zitate auch den Schriftwechseln während der Recherchen las, tatkräftig unterstützt wurde und durch Robert May, der die Zeitungsartikel vortrug.
Heinz Linduschka